Rechtsstaatsgebot verbietet Abschiebungen in den Folterstaat Syrien
#SyriaNotSafe! Landesflüchtlingsräte und PRO ASYL kritisieren leichtfertiges, Menschenleben gefährdendes Gerede einiger Innenminister aus Bund und Ländern
Nach dem tödlichen Anschlag in der Dresdner Innenstadt Anfang Oktober fordern die ersten Innenminister, vermeintliche „Gefährder:innen“ nach Syrien abzuschieben. Die Landesflüchtlingsräte und PRO ASYL erteilen solcher Instrumentalisierung vermuteter islamistischer Gewalt zur Demontage des Flüchtlingsschutzes eine klare Absage.
„Wir verurteilen die Tat mit aller Vehemenz. Unser tiefstes Beileid gilt den Angehörigen des Opfers, der verletzten Person wünschen wir eine schnelle Genesung“, erklärt Agnes Andrae vom Bayerischen Flüchtlingsrat und ergänzt: „Allerdings ist anstatt politischen Missbrauchs der Opfer durch einige Innenminister ein rechtsstaatlicher Prozess notwendig.“ Die Landesflüchtlingsräte und PRO ASYL unterstreichen: „Extremistischer Hass schlägt oft willkürlich zu. Die Abschiebung von ‚Gefährder:innen‘ nach Syrien ist eine Nebelkerze und trägt weder zur Sicherheit aller in der Bundesrepublik noch anderen Orts bei.“
Syrien ist – sowohl unter Bashar al-Assad wie in Herrschaftsgebieten extremistischer Aufständischer – ein Folterstaat. Das Flüchtlingshochkommissariat der UN (UNHCR) erklärt zur internationalen Schutzbedürftigkeit von Personen aus Syrien, dass ganze Gruppen von Familien, religiöse oder ethnische Gemeinschaften, ganze Dörfer, Städte und Nachbarschaften unter Generalverdacht gestellt und verfolgt werden.[1] Dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) zufolge wurden ganze Städte und Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und entvölkert. Die Zahl der Binnenvertriebenen geht in die Millionen. Selbst einige humanitäre Akteure setzen ihre Arbeit wegen der unsicheren Lage aus.[2] Amnesty berichtet über die landesweit und systematisch gegen die Zivilbevölkerung und zivile Institutionen gerichtete Gewalt.[3] Auch das Auswärtige Amt weist auf die Praxis des Verschwindenlassens hin und darauf, dass es keine verfolgungssicheren Gebiete in Syrien gibt.[4]
Vor diesem Hintergrund ist das leichtfertige Gerede über angeblich sichere Gebiete, in die Syrer:innen abgeschoben werden könnten, wie es der Bundesinnenminister und seine Kollegen unter anderem aus Sachsen und Bayern dieser Tage in die Medien lancieren, fahrlässig und menschengefährdend. Offenbar soll von interessierter politischer Seite das öffentliche Klima gegen syrische Flüchtlinge geschürt und so ein Abschiebungsbeschluss der im Dezember in Weimar anstehenden Innenministerkonferenz (IMK) schon im Vorfeld populär gemacht werden.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat sich neben seinem Kollegen aus Sachsen als einer der ersten für Abschiebungen aus Syrien ausgesprochen: „Wer in unserem Land schwere Straftaten bis hin zum Mord begeht oder als Gefährder auftritt, kann doch nicht allen Ernstes erwarten, dass er bei uns Hilfe oder Schutz findet.“ Er fordert von der Bundesregierung und dem Auswärtigen Amt, Abschiebungen nach Syrien wieder möglich zu machen. „Innenminister Herrmann nutzt die derzeitige Stimmung aus, um Abschiebungen weiter zu forcieren“, sagt Agnes Andrae vom Bayerischen Flüchtlingsrat. „Dabei geht es ihm nicht um die aktuelle Situation in Syrien, sondern lediglich darum, die bayerische Linie, die geprägt von einer Abschiebehysterie, die sich vor allem bei den Abschiebungen nach Afghanistan zeigt, weiter zu fahren.“
Hintergrund:
Rechtsstaatliches Gebot verbietet Abschiebungen in einen Folterstaat.
Eine Abschiebung in einen Folterstaat, mit akuter Gefahr für Leib und Leben ist menschenrechtswidrig. Das Refoulement-Verbot aus Art. 3 EMRK gilt absolut und lässt –anders als Art. 33 Abs. 2 GFK – keine Ausnahmen zu. Der EGMR hat ausdrücklich und wiederholt festgestellt, dass der Refoulement-Schutz der EMRK ausnahmslos gilt und über den Schutz der GFK hinausgeht. Die menschenrechtlichen Vorgaben gehen daher dem allgemeinen Flüchtlingsschutz auch dort vor, wo die GFK eigentlich eine Rückschiebung erlauben würde.[5] Dieses Europarechtsstaatsgebot steht also Versuchen entgegen, mit dem Begriff des:der Gefährder:in Menschen abschiebungsreif zu behaupten.
Würde die Person sehenden Auges der im Herkunftsland verbreiteten Folter oder Todesgefahr ausgeliefert werden, wäre die Bundesrepublik verantwortlich. Auch Boris Pistorius, niedersächsischer Innenminister, hatte an die Einhaltung völkerrechtlicher Grundsätze appelliert.[6] Bei den Landesflüchtlingsräten steht darüber hinaus die Sorge im Raum, dass die Aufhebung des Abschiebestopps bei „Gefährder:innen“ die Tür für weitere Aufweichungen öffne. Gleiches ist in der Praxis von Abschiebungen nach Afghanistan zu beobachten.
Das Ausmaß des Folterregimes Assads wird auch durch das aktuelle Strafverfahren am Oberlandesgericht (OLG) Koblenz deutlich, bei dem zwei Menschen syrischer Staatsbürgerschaft wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt werden.[7] Das OLG Koblenz wendet das Weltrechtsprinzip an, bei dem Staaten auch Straftaten außerhalb der eigenen Justiziabilität verfolgen und verurteilen können, wenn Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen vorliegen. Es wäre indes doppelzüngig, wenn Deutschland mutmaßliche Folterer strafrechtlich verfolgt und gleichzeitig via Abschiebung den Folterknechten in Syrien zuarbeitet und neue Opfer schafft.
[1] UNHCR zu Syrien 2020: https://www.frsh.de/fileadmin/schlepper/schl_98/s98_30-33.pdf
[2] EASO-Syrien-Bericht 5.2020: https://www.ecoi.net/en/file/local/2029305/05_2020_EASO_COI_Report_Syria_Security_situation.pdf
[3] Amnesty International, 5-2020: https://www.amnesty.org/en/documents/MDE24/2089/2020/en/
[4] AA- Lagebericht Syrien 11-0219: https://fragdenstaat.de/dokumente/sammlung/18-lageberichte-des-auswaertigen-amts/
[5] Bundestag, WD 2 -3000 -002/16: https://www.bundestag.de/resource/blob/408768/e5632bc349bdd5722303c06481316d7f/wd-2-002-16-pdf-data.pdf
[6] NOZ, 23.10.2020: https://www.noz.de/deutschland-welt/niedersachsen/artikel/2151039/pistorius-keine-moeglichkeit-fuer-abschiebungen-nach-syrien
[7] ECCR zu OLG Koblenz: https://www.ecchr.eu/fall/prozessberichte-weltweit-erster-prozess-zu-folter-in-syrien/