Nicht können oder nicht wollen?
Bayerischer Flüchtlingsrat ist enttäuscht über den Umgang der Stadt Nürnberg mit der Nürnberger Ausländerbehörde
Die Diskussionen um die Nürnberger Ausländerbehörde gehen in die nächste Runde. Am Mittwoch, den 16.9.2020, wurde der Antrag der Grünen zur „Neuausrichtung der Ausländerbehörde“ im Rechts- und Wirtschaftsausschuss des Nürnberger Stadtrats behandelt. Die Grünen fordern unter anderem, dass die Ausländerbehörde ihre Ermessensspielräume zu Gunsten der Antragssteller*innen auslege, das Beratungsangebot professionalisiere und kundenorientiertere Angebote anbiete. In ihrer Stellungnahme zu dem Antrag weist die Stadt Nürnberg jegliche Kritik von sich und lehnt die Forderungen aus dem Antrag ab. Der Bayerische Flüchtlingsrat hat sich gemeinsam mit Wohlfahrtsverbänden und Menschenrechtsinitiativen bereits im Juni mit einem offenen Brief an den Nürnberger Stadtrat gewandt und Kritik und Wünsche formuliert. Auf den offenen Brief wurde von Seiten der Stadtverwaltung bis heute nicht reagiert.
In den Nürnberger Nachrichten („Leitung will von ‚Neuausrichtung‘ nichts wissen“, 24.9.2020) äußerst sich die Stadtverwaltung zu ihren Beweggründen, den Antrag abzulehnen. So räumt sie zwar ein, Ermessensspielräume bei manchen Entscheidungen zu haben, sieht ein grundsätzliches Auslegen des Ermessens zu Gunsten der Antragssteller*innen jedoch als rechtswidrig an.
„Es ist ja schon mal ein Zugewinn, dass nun auch die Nürnberger Stadtverwaltung einräumt, sogenannte Ermessensspielräume zu haben. Das ein grundsätzliches Ausüben dieser Spielräume zu Gunsten der Antragstellerinnen rechtswidrig sein soll, erschließt sich uns nicht,“ teilt Johanna Böhm, Mitarbeiterin des Bayerischen Flüchtlingsrats, mit. „Ermessensspielräume eröffnen immer den Raum für subjektive Einschätzungen. Die Behörde soll, soweit im rechtlichen Rahmen möglich, die individuellen Gesichtspunkte der Antragsstellerinnen wohlwollend prüfen. Das ist nicht rechtswidrig – das ist ihre Pflicht!“
Ein Merkmal, ob eine Behörde professionell arbeitet, ist die dort stattfindende Beratung. In dem oben genannten Artikel teilt die Stadt mit, dass für eine „originäre Beratungstätigkeit“ in der Ausländerbehörde die notwendigen Ressourcen fehlen würden. Weiter wird ein „Zielkonflikt“ angenommen, wenn es um die Erfüllung eines gesetzlichen Auftrags ginge. Heißt: eine Beratung über Möglichkeiten im Aufenthaltsrecht, würde der im Aufenthaltsrecht verfassten Ausreisepflicht entgegenstehen.
„Mag sein, dass der Ausländerbehörde zu wenig Personal zur Verfügung steht. Aber das darf doch bitte nicht den Antragstellerinnen zur Last gelegt werden. Es scheint manchmal, als hätte die Nürnberger Behörde ihre im Verwaltungsrecht konstituierte Beratungs- und Fürsorgepflicht gegenüber ihren Kundinnen vergessen. Die Behauptung, eine Beratung und Aufklärung über vom Gesetzgeber niedergeschriebene Aufenthaltsperspektiven schaffe einen Zielkonflikt, ist haarsträubend und falsch,“ so Böhm weiter. „Aber es zeigt ganz offensichtlich, wie in Nürnberg Ermessensspielräume ausgelegt werden. Es ist ein ’nicht wollen‘ und kein ’nicht können‘. Ausreisepflicht steht in Nürnberg weiter vor Integration statt Integration vor Ausreisepflicht. Doch genau diesen Paradigmenwechsel hätten wir uns in der Stadt des Friedens und der Menschenrechte gewünscht.“