Herzinfarkt bei Sammelabschiebung nach Armenien!
Bayern schiebt schwerstkranke Senior:innen nach Armenien ab | Mann erleidet Herzinfarkt am Münchner Flughafen | Bayerischer Flüchtlingsrat: Behörde macht sich der fahrlässigen Körperverletzung im Amt schuldig
Am Dienstag, den 23. Februar 2021 ging ein Abschiebeflug vom Münchner Flughafen nach Armenien. Mehrere höchst vulnerable Personen waren für die Abschiebung vorgesehen. Die Nordbayerischen Nachrichten berichteten bereits am 23. Februar von einer Familie mit einem autistischen Kind, deren Abschiebung abgebrochen wurde. Darüber hinaus wurden dem Bayerischen Flüchtlingsrat mehrere dramatische Fälle bekannt. Ein Mann erlitt am Flughafen einen Herzinfarkt, musste notoperiert werden und befindet sich nun im Münchner Herzzentrum. An Bord des Abschiebefluges waren unter anderem zwei schwerkranke, lebensältere Menschen aus Nürnberg und Fürth. Der Abschiebeflug wurde von mindestens zwei Ärzt:innen begleitet.
Herr A. ist knapp über 60 Jahre alt, multimorbid und lebt in Erlangen. Der am Rollator gehende Mann leidet unter anderem an einer Parese, Rheuma, thorakaler Neuropathie, Pankreatitis und Adipositas. Am Flughafen erleidet Herr A. vor den Augen seiner Frau einen Herzinfarkt. Die Abschiebung wird abgebrochen, Herr A. im Herzzentrum München notoperiert. Mindestens vier Mal hat der Rechtsanwalt des Ehepaars bei der Zentralen Ausländerbehörde von Mittelfranken (ZAB-Mfr) Anträge auf dauerhafte Reiseunfähigkeit gestellt und zahlreiche fachärztliche Atteste eingereicht. Alle Anträge wurden abgelehnt.
Herr B. ist ein 81-jähriger, herzkranker Witwer aus Nürnberg, seine Ehefrau verstarb vor zwei Jahren in Deutschland. B. benötigt einen Pflegedienst, da er alleine die Einnahme seiner lebensnotwendigen Medikamente nicht schafft. Der Verdacht auf Demenz steht im Raum. Sein Sohn, Herr G., betreut seinen Vater daher in allen gesundheitlichen und finanziellen Angelegenheiten. In Armenien hat B. keine Kontakte mehr. Der 81-Jährige befindet sich seit Ankunft in Armenien im Krankenhaus, um am Herzen behandelt zu werden.
Frau C., eine 63-jährige Fürtherin, ist ebenfalls herzkrank und Diabetikerin. Zudem ist sie seit längerem wegen eines gutartigen Hirntumors in Behandlung. Erst im Januar wurde ein weiterer Tumor im Kopf diagnostiziert. Auch bei Frau C. besteht Verdacht auf eine Demenzerkrankung. Frau C. hat den Pflegegrad 3. Da dies eine schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit bedeutet, durfte sie vor knapp zwei Wochen zu ihrer Familie umziehen. Die Enkelkinder haben die Abschiebung ihrer Großmutter miterlebt. Nun versucht die Familie für Frau C. das von ihr dringend benötigte Medikament Marcumar zu besorgen, da es dieses in Armenien nicht gibt.
In allen Fällen lagen der zuständigen ZAB-Mfr Atteste über die Krankheiten sowie bestehende Reiseunfähigkeiten vor. Die Behörde lehnte jedoch alle Anträge ab, da angeblich die eingereichten fachärztlichen Schreiben nicht den formellen Anforderungen entsprächen. Zwar machen diverse Gesetzesverschärfungen die Anerkennung von Krankheiten im asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren für Geflüchtete schwierig. Aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes wäre die ZAB-Mfr jedoch dazu verpflichtet gewesen, eigenständige amtsärztliche Untersuchungen zu veranlassen. Doch die Behörde unternahm nichts dergleichen, obwohl die Rechtsvertretungen der betroffenen Personen sie zum Teil mehrfach dazu aufgefordert hatten.
„Die Praxis zum Umgang mit ärztlichen Attesten ist ein riesen Skandal,“ kritisiert Johanna Böhm vom Bayerischen Flüchtlingsrat. „Menschen werden qua Gesetz ‚gesund‘ gestempelt. Die Behörden wischen regelmäßig fachärztliche Atteste über schwere Krankheiten leichtfertig vom Tisch, weil sie den hohen gesetzlichen Anforderungen angeblich nicht genügen. Dies ist lebensgefährlich! Behörden müssen bei Verdacht auf erhebliche Krankheiten eigenständige Ermittlungen von Amts wegen einleiten, um Gesundheitsgefährdungen auszuschließen. Dass das nicht passiert ist, offenbart ein höchst fahrlässiges Verhalten der zuständigen Ausländerbehörde und grenzt an Körperverletzung im Amt!“
Die Familien und Rechtsanwält:innen der betroffenen Personen berichten, dass sie wegen der Schwere der Krankheiten und aufgrund der Aussagen der ZAB-Mfr nicht mit einer Abschiebung gerechnet hätten. Bei Herrn B. hat die Behörde erst kürzlich mitgeteilt, dass demnächst keine Abschiebung anstehe. Bei Frau C. wurde wenige Tage vor der Abschiebung ein Umzug zu ihrer Familie genehmigt. Der Verdacht liegt nahe, dass sich die betroffenen Personen, ihre Familien sowie ihre Rechtsanwält:innen in Sicherheit wiegen sollten.
„Ob gezieltes Täuschen oder fahrlässiges Unterlassen – die Zentrale Ausländerbehörde von Mittelfranken scheint in blinder Abschiebewut völlig den Verstand verloren zu haben“, so Johanna Böhm weiter. „Wir verlangen vom bayerischen Innenministerium, dieser Behörde die Leviten zu lesen. Es ist absolut menschenverachtend, einen solchen Krankentransport zusammenzustellen, mit Abschiebeärzten zu begleiten und dabei das Leben der betroffenen Geflüchteten auf’s Spiel zu setzen!“