Gewalt gegen Frauen hat System!
Bayerischer Flüchtlingsrat: Asyl- und aufenthaltsrechtliche Vorgaben dürfen nicht länger dem Gewaltschutz für geflüchtete Frauen entgegenstehen!
Die Pressekonferenz des Bayerischen Flüchtlingsrats vom 29.03.2022 hat abermals gezeigt: Es braucht ein flächendeckendes Hilfe- und Unterstützungssystem für alle Frauen, die Gewalt erleben oder davon bedroht sind – unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status, ihrem Herkunftsland, ihrer Sprache, oder ob sie in einer Unterkunft leben müssen. Diese Forderung und Verpflichtung zur Umsetzung konkreter Maßnahmen ist in der Istanbul-Konvention verankert, u.a. in den Art. 60 und 61. Nach der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention muss Deutschland seit 2018 auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene alle Formen von Gewalt gegen Frauen verhüten, verfolgen und beseitigen – und zwar für ALLE Frauen. Dafür braucht es endlich umfassende und ressortübergreifende politische und sonstige Maßnahmen, um dem Anspruch der Konvention gerecht zu werden.
Vor struktureller Gewalt in ihren Herkunftsländern geflohen, mit der Hoffnung in Deutschland Schutz zu finden, werden geflüchtete Frauen auch hier mit gewaltfördernden Strukturen konfrontiert. In Deutschland werden ihre geschlechtsspezifischen Fluchtgründe meist nicht anerkannt, so auch im Fall der vier Frauen, die auf der gestrigen Pressekonferenz von ihren Gewalterfahrungen berichteten. Von etwa 60.000 Asylanträgen von Frauen und Mädchen, die inhaltlich geprüft wurden, wurde lediglich in 1.300 Fällen eine geschlechtsspezifische Verfolgung anerkannt. Dies hat auch damit zu tun, dass es kein flächendeckendes systematisches Konzept zur Identifizierung von besonders schutzbedürftigen Personen und keine unabhängige Asylverfahrensberatung und Anhörungsvorbereitung gibt. Außerdem fehlen Beratungsstrukturen zur Aufklärungsarbeit über eigene Rechte sowie das Wissen über mögliche Schutzräume für Frauen und ihre Kinder.
Doch Gewaltschutz fängt nicht erst bei der Intervention gegen einen gewalttätigen Übergriff oder im Falle von partnerschaftlicher Gewalt an, sondern schon viel früher: Gewaltschutz beginnt bei der Unterstützung, ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben führen zu können. Daher fordert der Bayerische Flüchtlingsrat für geflüchtete Frauen einen niedrigschwelligen Zugang zu Deutschkursen, zu Kinderbetreuung, zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, eine flächendeckende Anbindung an medizinische Versorgung und psychologische Betreuung, mehr vertrauensvolle Ansprechpersonen und muttersprachliche Angebote sowie ausreichend finanzielle Unterstützung für Dolmetscher:innen. Aktuell wird ihnen dies alles aufgrund aufenthaltsrechtlicher Einschränkungen verwehrt. Diese führen unter anderem auch dazu, dass geflüchtete Frauen in menschenunwürdigen Unterkünften leben müssen, wo ihnen selbst ein Minimum an Privatsphäre nicht zugestanden wird: Zimmer und sanitäre Anlagen sind meist nicht abschließbar, Frauen sind übergriffigen Blicken und Handlungen von Männern ständig ausgeliefert. Deshalb fordert der Bayerische Flüchtlingsrat auch die sofortige Abschaffung aller lagerartigen Unterkünfte, selbstbestimmte Wohn- und Mobilitätsfreiheit und Unterstützungsangebote zum Finden von privaten Wohnungen.
Wir bitten die Verantwortlichen bei der Anhörung im Sozialausschuss des Bayerischen Landtags diesen Donnerstag, den 31.03.22, zum Thema „Gewaltschutz in Bayern von Frauen und Mädchen: Schutz- und Unterstützungsstruktur gegen geschlechtsspezifische, sexualisierte, häusliche und digitale Gewalt evaluieren“, den Blick explizit auf die besondere Situation und die spezifischen Bedürfnisse von geflüchteten Frauen als auch auf die Einschränkungen des Gewaltschutzes durch aufenthaltsrechtliche Vorgaben zu lenken und diese bei weiteren Maßnahmen zum Gewaltschutz zu beachten!
Alle wichtigen Forderungen finden Sie in unserem Positionspapier zu Gewaltschutz und in der PM zur Umsetzung der Istanbul-Konvention für geflüchtete Frauen. Weitere Einblicke und Zitate zu der Pressekonferenz finden Sie im beiliegenden Bericht.