„Freiwillige“ Aus- und Wiedereinreise? – Bürokratischer Wahnsinn wider jede Vernunft
Statt „Spurwechsel“ und Humanität waltet in Bayern nur politischer Unwille und bürokratischer Starrsinn
Die bayerische Staatsregierung und die bayerischen Behörden haben in ihrem Kampf gegen eine offene Einwanderungsgesellschaft ein weiteres absurdes Vorgehen gefunden: Immer häufiger forcieren Ausländerbehörden die „freiwillige“ Ausreise zur „Nachholung“ des Visumverfahrens für Personen, über deren Asylverfahren zwar negativ entschieden wurde, die aber andere Bleiberechtsmöglichkeiten in Deutschland hätten. Beispielsweise über die Aufnahme einer Ausbildung, einer qualifizierten Beschäftigung oder aus familiären Gründen, weil (Ehe-)Partner:innen und Kinder in Deutschland leben. Auch der bayerische Petitionsausschuss führt dies häufig als die bessere und einzige Alternative an, statt den Menschen hier ein Bleiberecht oder zumindest eine Duldung zu ermöglichen. Der sogenannte „Spurwechsel“, der es Menschen mit negativem Ausgang eines Asylverfahrens ermöglichen soll, über eine Ausbildung oder Arbeit in Bayern zu bleiben, wird regelmäßig durch die Praxis der Ausländerbehörden und Weisungen des bayerischen Innenministeriums torpediert.
Wir erleben eine Politik und Rechtsprechung, die Menschen zwingt auszureisen, obwohl sie per Gesetz einen klaren Rechtsanspruch oder zumindest Optionen im Ermessensspielraum des Gesetzes hätten. Die Sinnhaftigkeit dieser Praxis lässt sich niemandem mehr vermitteln: Nicht den Betroffenen, nicht den Unterstützenden oder den Arbeitgeber:innen. Familien werden getrennt und enorm belastet. Botschaften und Ausländerbehörden, die mit Anträgen zum Familiennachzug bereits genug zu tun haben, werden noch stärker gefordert. Auch der Trend, aus umweltpolitischen Gründen unnötige Flugreisen zu vermeiden, scheint in den bayerischen Ausländerbehörden und im Innenministerium noch nicht angekommen zu sein. Nicht zuletzt belastet der Staat Betriebe, die händeringend Auszubildende und Arbeitskräfte suchen.
„Eine Staatsdoktrin, die die Aus- und Wiedereinreise als einzige Alternative zur Abschiebung und sogar als Gnadenakt beschwört, ist unmenschlich und unsinnig“, sagt Jana Weidhaase, Mitarbeiterin des Bayerischen Flüchtlingsrates.
Oft wird den betroffenen Personen im Vorfeld noch die Arbeitserlaubnis entzogen – ein weiteres gängiges Sanktionsmittel, um die „freiwillige Ausreise“ zu forcieren: „Menschen erst die Lebensgrundlage zu entziehen und sie dann auf die Durchführung des Visumverfahrens zu verweisen, kann nur als zynische Schikane aufgefasst werden. Denn sowohl die Voraussetzungen für die Wiedereinreise, wie zum Beispiel ausreichender Wohnraum in Deutschland, als auch der oft monatelange Aufenthalt im Herkunftsland sowie die Flüge und die Visa selbst sind ohne ein finanzielles Polster nicht zu bewerkstelligen“, ergänzt Katharina Grote vom Bayerischen Flüchtlingsrat.
Mit der vermeintlich zu Recht geforderten „Aus- und Wiedereinreise“ und einer sogenannten „Nachholung“ des Visumverfahrens tritt die bayerische Staatsregierung ganze Lebensabschnitte auf der Flucht und in Deutschland mit jahrelangen Asylverfahren, Ausbildungen, Jobs und Familiengründungen mit Füßen.
Fallbeispiele
Familie K. aus Nürnberg:
3-facher Familienvater sitzt seit 4 Monaten in Abschiebehaft: Wegen nicht erfolgter Ausreise verhaftet ihn die Polizei im März bei einem Routinetermin in der Ausländerbehörde – mit fatalen Folgen
Edwin K. soll abgeschoben werden, obwohl seine Lebensgefährtin und die drei gemeinsamen Kinder mit Flüchtlingsschutz hier leben. Nach dem geltenden Recht könnte Herr K. somit einen Aufenthalt aus familiären Gründen nach § 28 AufenthG erhalten. Doch die Behörde nutzt ihr Ermessen nicht und verpflichtete ihn stattdessen im August 2021 auszureisen, um im Herkunftsland über die dt. Botschaft ein Visum zur Familienzusammenführung zu beantragen. Eine enorme Zumutung für die gesamte Familie. Seine Frau war zu dem Zeitpunkt mit dem dritten Kind hochschwanger und braucht seine Unterstützung. Auch aus emotionalen Gründen ist eine längere Trennung für alle unvorstellbar. Zudem gibt es in seinem Herkunftsland keine deutsche Botschaft, er müsste in ein Nachbarland weiterreisen und sich dort für eine längere Zeit aufhalten. Er glaubt schließlich auch nicht, dass er wiederkommen darf, denn warum sollte Deutschland ihn erst zur Ausreise zwingen, um ihm danach die Rückkehr zu erlauben. Anfang 2022 entzog ihm die Ausländerbehörde zusätzlich die Beschäftigungserlaubnis und damit jede finanzielle Grundlage für eine Ausreise und das Visumsverfahren mit Rückkehroption. Er hat bereits einmal alles investiert in seine Flucht nach Deutschland und ist durch die Hölle gegangen. Was er will: Hier bleiben, arbeiten, sich um seine Familie kümmern. Er sorgt für die Miete und unterstützt seine Familie, wo er kann – gegen alle Widerstände. So wurde sein Antrag auf Wohnsitznahme in der Wohnung seiner Familie in Nürnberg nie erlaubt.
Unverhältnismäßig: Fatale Rechtsbrüche und Folgen
Seit 21.3.2022 sitzt Edwin K. in Haft, obwohl er nie straffällig war und dennoch wird er seit jetzt vier Monaten seiner Freiheit beraubt. Während der Haft durfte er für mindestens einen Monat als Vollzugsmaßnahme keinen Kontakt zu seinen drei minderjährigen Kindern und seiner Lebensgefährtin haben, weder telefonisch noch persönlich – eine rechtswidrige Praxis der Eichstätter Abschiebehaft. Er wird durch Medikamente „ruhiggestellt“ und sei seitdem nicht mehr klar im Kopf, bestätigen seine Lebensgefährtin und eine Beraterin der Abschiebehaft. „Er sieht ungepflegt aus, hat Wahnvorstellungen und kann nicht normal auf Ansprachen reagieren“, berichtet die Lebensgefährtin weiter. Außerdem wird er nach einer Abschiebung eine enorm lange Wiedereinreisesperre erhalten. Dazu kommen die Kosten für Abschiebung und Haft, die er vor einer erneuten Einreise erst begleichen müsste, aber nicht zahlen kann. Die Möglichkeit einer Rückkehr ist damit enorm erschwert bis unmöglich geworden.
Familie S. aus Aschaffenburg:
Familienvater wird im Juli 2022 nach Pakistan abgeschoben, Frau und Kind haben hier Flüchtlingsschutz, ein Aufenthalt aus familiären Gründen wird mit Verweis auf die Aus- und Wiedereinreise sowie das Visumverfahren abgelehnt
Hamid S. lebte seit 2013 in Deutschland. Er lernte seine Frau Ayesha H. hier kennen. Die beiden heirateten nach muslimischem Recht, die Ehe ist hier nicht offiziell anerkannt. Für eine standesamtliche Eheschließung waren die Dokumente schwer zu beschaffen. Im Dezember 2019 kam der gemeinsame Sohn zur Welt. Frau und Kind haben in Deutschland Flüchtlingsschutz zugesprochen bekommen. Darüber hätte auch Hamid S. Recht auch einen Aufenthalt hier erhalten können. Die Familie lebte zusammen in einer Wohnung in Aschaffenburg. Hamid S. verdiente den Lebensunterhalt der Familie, bis ihm die Ausländerbehörde vor anderthalb Jahren die Arbeitsgenehmigung entzog. Sie forderten ihn auf „freiwillig“ auszureisen, Frau und Kind hier alleine zu lassen und in Pakistan das Visumverfahren für den Familiennachzug zu durchlaufen. Die Familie folgte dem Rat ihres Anwalts, das nicht hinzunehmen und für ihr Recht zu Kämpfen. Vergeblich.
Die Abschiebung und ihre Folgen: 2 Jahre wird es dauern und tausende Euro kosten, bis Hamid zurück zu seiner Familie kommen kann:
Am Donnerstag, den 30. Juni 2022 um 6 Uhr morgens klingelte es an der Wohnungstür. Rund sieben Polizist:innen verlangten Einlass, ohne den Grund zu nennen. Als Frau H. darum bat, sich noch schnell etwas über ihr Nachthemd zu ziehen, drohten die Polizist:innen damit, sich gewaltsam Eintritt in die Wohnung zu verschaffen. Frau H. öffnete daraufhin die Tür. Die Polizist:innen nahmen ihren Mann mit. Herr S. wurde ins Abschiebegefängnis nach Hof gebracht. Eine Verfassungsbeschwerde scheiterte. Am 5. Juli 2022 wurde Hamid S. nach Pakistan abgeschoben. In Pakistan musste die Familie ihn erst wieder aus der obligatorischen Haft auslösen. Herr S. wartet nun auf seinen Visumstermin bei der heillos überlaufenen Deutschen Botschaft in Islamabad. Das kann rund 21 Monate dauern. Auch über die sogenannte Wiedereinreisesperre nach einer Abschiebung muss mit anwaltlicher Vertretung verhandelt werden. Die Abschiebung und Abschiebehaftkosten müssen vor der Wiedereinreise beglichen werden. Ayesha H. kämpft energisch für die Wiedereinreise ihres Mannes. Sie macht sich große Sorgen. Auch ihr Sohn ist stark belastet von der Situation, sagt sie. Er spürt die Trauer und merkt natürlich, dass sein Vater weg ist, kann aber noch nicht begreifen, weshalb. Sie hat Angst, dass ihr Sohn über die lange Zeit, die noch vergehen wird, bis Hamid S. wieder nach Deutschland kommen kann, den Vater vergisst.
Familie L. aus Bamberg:
Ein Jahr lebte Familie L. in Deutschland – sie verlor währenddessen eines ihrer Zwillingskinder, das zwei Wochen nach der Geburt starb. Gleichzeitig erhielten sie damals einen negativen Asylbescheid und klagten nicht. Die Abschiebung nach Georgien im Juli 2022 vergrößert das Trauma.
Eine Woche wurde der Ehemann und Vater G.L. inhaftiert, bevor die Familie am 21.07.2022 abgeschoben wurde. Fluchtgefahr bestand nicht. Als ihr Asylverfahren abgelehnt wurde, waren sie gerade inmitten einer persönlichen Notlage und Krise. Eines ihrer Zwillingskinder, die hier in Deutschland als extreme Frühchen zur Welt kamen, ist kurz nach der Geburt gestorben. Sie waren mit ihren Gedanken in Trauer um das verstorbene und in Sorge um das überlebende Kind. Deshalb verpassten sie die Klagefrist gegen den negativen Bescheid, der in dieser Zeit ausgestellt wurde. An eine Ausreise war auch nicht zu denken, weil das überlebende Kind noch monatelang in der Klinik auf der Frühchenstation medizinisch versorgt werden musste. Die Familie hat einen schweren Schicksalsschlag und das damit verbundene Trauma zu verarbeiten.
Eine vergebliche Petition
Eine am 20.07.2022 eingereichte Petition beim bayerischen Landtag konnte vor der Abschiebung nicht mehr behandelt werden. Die Petition hätte im Ergebnis vermutlich auch lediglich dazu geführt, dass die Familie dennoch freiwillig ausreisen müsse, um ggf. dann mit einem Visum wiedereinzureisen. Die Mutter spricht deutsch, weil sie bereits öfter in Deutschland war. Die beiden Eltern wollen hier in Deutschland eine Arbeit und Ausbildung finden, denn in Georgien können sie nicht bleiben, weil ihr Leben dort in Gefahr ist (auch wenn das BAMF das nicht anerkannt hat). Frau L. hatte in Bayern bereits ein Arbeitsangebot.
Inhumane Politik
Vor allem aber aus humanitären Gründen wäre es hier geboten gewesen, nicht abzuschieben und darüber hinaus den Mann nicht wie einen Schwerverbrecher zu behandeln und zu inhaftieren. Sich in der Argumentation des Ministeriums immer nur darauf zu berufen, das Asylverfahren sei geprüft worden und damit sei alles rechtmäßig, zeigt eindeutig den Mangel an einer humanitären Politik.
Seit der Ankunft in Georgien hält sich die Familie versteckt bei Freunden auf und kann deshalb auch nicht zum Arzt gehen, obwohl ihr Kind krank ist. Statt Lösungen zu bieten werden nur weitere Probleme für Menschen geschaffen, um die sich nach der Abschiebung in Deutschland niemand mehr schert.