Chancenaufenthalt hat Vorrang vor Abschiebungen!
Das Chancenaufenthaltsrecht der Ampel-Koalition steht unmittelbar bevor: Nach Beschluss des Bundesverfassungsgerichts darf das Innenministerium Geflüchtete, die davon profitieren, nicht abschieben
Wie vom Bayerischen Flüchtlingsrat berichtet, häufen sich in den vergangenen Wochen und Monaten die Abschiebungen von Geflüchteten, die vom geplanten Chancenaufenthaltsrecht der Ampel-Koalition profitieren würden. Innenminister Joachim Herrmann lobt sich selbst für „eine Steigerung um elf Prozent“ bei den Abschiebezahlen. Gleichzeitig wirft er der Bundesregierung Untätigkeit vor und kritisiert, sie lasse „jede Anstrengung vermissen, abgelehnte Asylbewerber wieder außer Landes zu bringen“ (s. Pressemitteilung des Bayerischen Innenministeriums vom 04.11.2022). Das bayerische Innenministerium setzt alles daran, möglichst viele Menschen noch schnell abzuschieben, um ihnen keine Aufenthaltserlaubnis erteilen zu müssen.
Doch damit muss nun Schluss sein. Rechtsanwältin Anna Frölich hat in dem von uns veröffentlichten Fall von Muhamed B. aus Garmisch-Partenkirchen einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1999 zu Tage gefördert (AZ: 2 BvR 283/99). Wenn Altfall- oder Härtefallregelungen „beschlossen werden oder konkretisiert unmittelbar bevorstehen“, führt der BVerfG-Beschluss aus, müssen die Behörden sicherstellen, dass Geflüchteten diese Regelungen zugutekommen, „etwa durch Verzicht auf den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen“.
Heute fand im Deutschen Bundestag eine letzte Sachverständigenanhörung zum Chancenaufenthaltsrecht der Bundesregierung statt. Diese Altfallregelung wird noch im Dezember verabschiedet. Es ist deshalb dringend an der Zeit, die Abschiebung von Geflüchteten, die von dieser Altfallregelung profitieren werden, auch in Bayern endlich zu stoppen. Lange hat sich Innenminister Joachim Herrmann geweigert, einen Vorgriffsregelung zu erlassen, die die betroffenen Geflüchteten schützt. Jetzt muss er dringend mit einer Weisung dafür sorgen, dass die Abschiebungen sofort beendet werden.
Denn erneut ist ein Geflüchteter in Bayern in akuter Abschiebegefahr. Samuel D. aus Nürnberg lebt seit 12 Jahren in Deutschland. Er hat lange Jahre bei DHL gearbeitet und war zuletzt als Gruppenleiter für die Beladung der Zustellfahrzeuge zuständig. Er hat selbst für seinen Lebensunterhalt gesorgt und immer seine Mitwirkungspflichten erfüllt. Als es ihm gelungen ist, nach langer Zeit endlich einen Pass seines Herkunftslands Äthiopien zu bekommen, wurde ihm nicht die in Aussicht gestellte Aufenthaltserlaubnis erteilt. Die Zentrale Ausländerbehörde Mittelfranken hat ihm stattdessen Arbeitserlaubnis und Duldung entzogen. Er hat nur noch eine Grenzübertrittsbescheinigung, die Abschiebung kann jederzeit erfolgen. Dabei braucht ihn DHL dringend und würde ihn sofort wieder einstellen, denn Weihnachten steht vor der Tür und ohne Mitarbeiter:innen wie Samuel D. kommen Pakete noch später an.
„‚Humanität und Ordnung‘ ist Innenminister Herrmanns selbstgewählter Leitspruch. Von Humanität erleben wir derzeit jedoch nichts, stattdessen aber eine überbordendes Abschiebeinteresse, das kaum noch mit dem geltenden Recht in Einklang steht. Das bayerische Innenministerium versucht mit allen Tricks und Täuschungen, Geflüchtete noch vor Inkrafttreten des Chancenaufenthaltsrechts abzuschieben“, kritisiert Alexander Thal, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats. „Wir fordern Innenminister Herrmann auf, die Abschiebungen auszusetzen und diese Tricks und Täuschungen zu unterlassen, damit alle Geflüchteten, die sich lange in Bayern aufhalten und sich gegen alle Widerstände integriert haben, auch in den Genuss des Chancenaufenthalts zu kommen.“