Belege für systematische Pushbacks nun auch an der deutsch-österreichischen Grenze

NGOs schlagen Alarm

Gemeinsame Pressemitteilung am 30. Mai 2023: Pushback Alarm Austria, Border Violence Monitoring Network, Bayerischer Flüchtlingsrat

„Dutzende syrische Kriegsüberlebende berichten von formalisierten Pushbacks durch deutsche Beamte im Grenzgebiet zu Österreich. Die Betroffenen sind seit Wochen in Österreich gestrandet, obwohl sie zuvor in Deutschland um internationalen Schutz gebeten hatten. Trotz klarer nationaler und internationaler Vorschriften, die das verbieten, wurden die Betroffenen nur wenige Stunden nach ihrer Ankunft in Bayern an die österreichische Polizei übergeben, oder einfache auf der Straße in Salzburg ausgesetzt. Es geht dabei nicht um Einzelfälle, sondern um eine systematische Praxis und letztlich um den Zugang zum Asylverfahren in Deutschland. Vergleichbare Praktiken der österreichischen Polizei im Zusammenspiel mit slowenischen Behörden wurden von österreichischen Höchstgerichten als rechtswidrige Pushbacks verurteilt und beendet,“ so Petra Leschanz von Pushback Alarm Austria. (Links zu den Gerichtsurteilen s.u.).

Die Aussagen von insgesamt sechs im Detail dokumentierten Vorfällen aus den Monaten November und Dezember 2022, die Pushback Alarm Austria heute auf der Website des Border Violence Monitoring Networks veröffentlicht, bekräftigen die Vorwürfe von rechtswidrigen Zurückschiebungen und Zurückweisungen an der deutsch-österreichischen Grenze. (Links zu den Schilderungen s.u.).

Die Schilderungen rechtswidriger Pushbacks an der deutsch-österreichischen Grenze stammen von Schutzsuchenden aus Syrien, die im Rahmen polizeilicher Kontrollen in Freilassing, Passau und München aufgegriffen worden waren. Die Betroffenen berichten, dass sie deutschen Beamt*innen gegenüber mehrfach und auch im Beisein von Dolmetscher*innen artikuliert hatten, einen Asylantrag in Deutschland stellen zu wollen. Dennoch wurden sie ohne die Einleitung eines regulären Asylverfahrens meist am darauffolgenden Tag nach Österreich zurücktransportiert.

„Ich habe den Kriegsdienst unter dem Assad-Regime verweigert und den lebensgefährlichen Weg bis nach Deutschland auf mich genommen, weil alle meine nahen Bezugspersonen hier leben. Ich war fassungslos, als mir die Beamten in Freilassing sagten, ich würde eine Strafe bekommen und sogar ins Gefängnis gehen, wenn ich nochmals versuchen würde, nach Deutschland einzureisen“, so Ahmad, ein junger Familienvater aus Syrien.

„Es geschieht mitten unter uns in Passau, Freilassing und München. Reiht sich auch Deutschland in die Liste der EU Staaten ein, die Schutzsuchenden den Zugang zum Asylverfahren systematisch verweigern? Pushbacks sind illegal. Wir fordern das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag endlich umzusetzen und illegale Zurückschiebungen zu beenden!“, kommentiert Hope Barker, vom Border Violence Monitoring Network.

Fragwürdig: Starker Zuwachs an Zurückweisungen bei sinkenden Asylantragszahlen

Die offiziellen Polizeistatistiken, abgefragt im Bundestag durch die Fraktion der LINKEN, bekräftigen die Vermutung der NGOs (DS 20/5674 vom 15.02.2023): Laut Bundespolizei wurden im vergangenen Jahr 2022 an der Grenze zu Österreich 22 824 unerlaubte Einreisen registriert (Antwort auf Frage 5), wobei nur in 12 % der Fälle Asylgesuche aufgenommen wurden (Antwort auf Frage 7). Von den 14 675 Personen 2022 an der Grenze zu Österreich zurückgewiesen Personen stammten, 9 980 Personen aus einem der 15 wichtigsten Asylherkunftsländer. Damit handelt es sich bei 68 % der Zurückgewiesenen um Personen aus Asylherkunftsländern.

Besonders drastisch stellt sich das Missverhältnis zwischen Aufgriffen und angenommen Asylgesuchen im November und Dezember 2022 dar. Nur 0,6 % der über die deutsch-österreichische Grenze eingereisten Personen konnten in diesem Zeitraum einen Asylantrag stellen, in Zahlen: 20(!) Asylgesuche im November 2022 und 12 (!) Asylgesuche im Dezember 2022 bei Aufgriffszahlen von 3077 bzw. 2107 Personen.

Wie kann es sein, dass es tausende Personen aus Hauptherkunftsländern es bis an die deutsche Grenze schaffen und dann, angeblich ohne Asylgesuch, zurückgeschoben werden?  Auch aufgrund der hohen Anzahl polizeilicher Zurückschiebungen und der auffallend geringen Anzahl der aufgenommenen Asylanträge müssen wir davon ausgehen, dass ein Teil der Zurückweisungen nicht legal erfolgen. Wir sprechen von einer EU-Binnengrenze, an der es trotz des Gebots der Aufhebung von Grenzkontrollen im Schengenraum seit 2015 fortlaufend Grenzkontrollen gibt. Offensichtlich führt die Polizeipräsenz jedoch nicht zu Rechtssicherheit, ganz im Gegenteil,“ so Katharina Grote vom Bayerischen Flüchtlingsrat.

Vorgehen verstößt gegen nationales, europäisches und internationales Recht

Äußert eine Person nach ihrer Einreise in Deutschland ein Asylgesuch, darf sie unter keinen Umständen ohne ein behördliches Verfahren unmittelbar in ein Nachbarland zurückgeschickt werden. Dies trifft auch für den Fall zu, dass sie ursprünglich nicht die Voraussetzungen einer legalen Einreise erfüllt hat. Stattdessen ist die Bundespolizei als Grenzbehörde verpflichtet, die schutzsuchende Person an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weiterzuleiten. Dem BAMF obliegt es in weiterer Folge zu bestimmen, ob Deutschland oder ein anderes EU-Mitglied für die Durchführung des Asylverfahren zuständig ist. Dies bestimmen in der EU die Kriterien der Dublin-III-Verordnung.

Auch internationale Normen wie das Verbot der Kollektivausweisung, das in der europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist, sowie das in der Genfer Flüchtlingskonvention verbürgte Refoulement-Verbot verbieten die unmittelbare Zurückweisungen an der Grenze. Pushbacks, d.h. rechtswidrige Rückweisungen im Grenzgebiet, verbietet auch die EU-Grundrechtecharta. Nur falls eine Person kein Schutzgesuch äußert, hat Deutschland das Recht, Menschen, die die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllen und damit „unerlaubt“ einreisen, an der Grenze abzuweisen und sie in das Land zurückzuschicken, aus dem sie eingereist sind.

Dass tausende Menschen aus Asylherkunftsländern nach ihrer Einreise nach Deutschland kein Asylgesuch stellen wollten, mutet vor dem Hintergrund der nun veröffentlichten Details völlig lebensfremd an. Die nun dokumentierten Details und Polizeidokumente von der Zurückschiebung syrischer Kriegsüberlebender an der deutsch-österreichischen Grenze im November und Dezember 2022 bringen besorgniserregende Zustände ans Licht. Die Pushback-Vorwürfe an der deutsch-österreichischen Grenze müssen dringend aufgeklärt und das Recht auf Zugang zum Asylverfahren sichergestellt werden.

Wir fordern:

  • Die sofortige Aufklärung der neuen Pushback-Vorwürfe
  • Den Stopp von Zurückschiebungen und Zurückweisungen an der deutsch-österreichischen Grenze bis die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards gewährleistet werden kann
  • Die Sicherstellung des Rechts auf Asyl und insbesondere des rechtmäßigen Zugangs zum Asylverfahren
  • Die Einrichtung eines unabhängigen Menschenrechtsmonitorings an deutschen Grenzen, welches befugt ist die Rechtsstaatlichkeit behördlichen Handelns zu überprüfen
  • Disziplinarrechtliche Konsequenzen für die Verantwortlichen
  • Entschädigung und Recht auf Wiedereinreise für die Betroffenen

Links zu den Schilderungen von Push Backs durch die Betroffenen:

https://borderviolence.eu/testimonies/december-6-2022-salzburg-austria/
https://borderviolence.eu/testimonies/december-6-2022-near-freilassig/
https://borderviolence.eu/testimonies/december-4-2022/
https://borderviolence.eu/testimonies/december-3-2022-near-passau-train-station-in-germany
https://borderviolence.eu/testimonies/december-8-2022-salzburg-austria/
https://borderviolence.eu/testimonies/november-15-2023-near-salzburg-austria/

Österreichische Gerichtsurteile zu systematischen Push-Backs

1) LVwG Steiermark, Erkenntnis vom 1.7.2021, zur rechtswidrigen Rückweisung von A.B. aus Österreich nach Slowenien und „teils systematischen Pushbacks aus Österreich“

2) LVwG Steiermark, Erkenntnis vom 16.02.2022, zum Pushback eines unbegleiteten minderjährigen somalischen Staatsbürgers aus Österreich

3) Österreichischer Verwaltungsgerichtshof zu rechtswidrigen Zurückweisungen von Asylwerbern an der Grenze zu Slowenien, Erkenntnisse vom 5. bzw. 19.5.2022