Afghanische Schutzsuchende ohne Hoffnung
Bundesaufnahmeprogramm läuft schleppend, Bundesinnenministerin denkt über Abschiebungen nach | Bayerischer Flüchtlingsrat: Völlige Ignoranz gegenüber der Situation in Afghanistan
Seit Oktober 2022 läuft das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan. Bundesinnenministerin Nancy Faeser versprach vor fünf Monaten, dass Deutschland mit dem Programm seiner humanitären Verantwortung gerecht werde. Dies ist leider nicht der Fall. In Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, die Fälle identifizieren und diese an eine Koordinierungsstelle des Bundesaufnahmeprogramms weiterleiten, wird das Programm umgesetzt. Eine Refinanzierung für diese Arbeit durch den Bund gibt es nicht. Wer tatsächlich kommen darf, entscheidet letztlich ein Algorithmus, den die Bundesregierung anhand verschiedener schutzrelevanter Kriterien immer wieder verändert. Welche Kriterien in welchem Zeitraum relevant sind, um eine Aufnahmezusage zu erhalten, ist völlig intransparent. Im Januar dieses Jahres haben die ersten 1.000 Personen eine Zusage für die Aufnahme erhalten. Für Februar gibt es noch keine Zahlen. Einreisen nach Deutschland konnte bislang noch niemand.
Parallel zum Bund realisieren einige Bundesländer Landesaufnahmeprogramme für gefährdete Afghan:innen. Bayern entzieht sich nach wie vor jeder Verantwortung und lehnt ein Landesaufnahmeprogram weiterhin rigoros ab.
„Immer noch erreichen uns wöchentlich hunderte von Anfragen direkt aus Afghanistan, die eindrücklich ihre gefährliche Situation schildern“, berichtet Naqib Hakimi, Mitarbeiter des Bayerischen Flüchtlingsrats. „NGOs beteiligen sich an diesem Programm, weil sie bedrohten Afghan:innen helfen wollen, nach Deutschland zu kommen. Doch das Bundesprogramm gestaltet sich zäh und intransparent. So bleibt den meisten bedrohten Menschen nur die lebensgefährliche Flucht in Nachbarländer wie Iran oder Pakistan. Wir fordern, das Bundesaufnahmeprogramm zu vereinfachen und ein bayerisches Landesaufnahmeprogramm auf den Weg zu bringen“.
Dass die Bundesinnenministerin nun Abschiebungen von Straftätern und sogenannten Gefährdern wieder prüfen will, zeugt von grober Fahrlässigkeit und Unverantwortlichkeit. In Bayern leben derzeit rund 3.000 geduldetete Afghan:innen, die keine effektive Sicherheit vor einer Abschiebung haben. Die Einschränkung auf „Straftäter“ wurde vor allem in Bayern stets weit ausgelegt. Auch Menschen mit kleinen Vergehen, z.B. dem Verstoß gegen die Residenzpflicht, betitelte Bayern in der Vergangenheit als „Straftäter“.
Es gibt gute Gründe, auch Straftäter nicht nach Afghanistan abzuschieben. Die Genfer Flüchtlingskonvention sowie die UN-Antifolterkonvention verbieten Abschiebungen in Staaten, wenn dort Menschenrechtsverletzungen drohen. Um Abschiebungen nach Afghanistan durchzuführen, müsste die Bundesregierung mit dem Taliban-Regime zusammenarbeiten und dieses damit anerkennen – ein Regime, das seine Bevölkerung unterdrückt und Frauen und Mädchen ihre Grundrechte verweigert. Zudem handelt es sich bei Abschiebungen von sogenannten Straftätern meist um Doppelbestrafungen. Sie verbüßen in Deutschland ihre Strafe und werden zusätzlich noch abgeschoben.
„In Afghanistan tobt eine massive Wirtschaftskrise, der IS verübt zunehmend Anschläge und die Taliban unterdrücken ihre Bevölkerung,“ kritisiert Franziska Sauer vom Bayerischen Flüchtlingsrat. „Dass in dieser Situation plötzlich wieder über Abschiebungen nach Afghanistan gesprochen wird, ist Populismus, der wohl die Schreihälse der Union und AfD besänftigen soll, dabei aber völkerrechtliche Prinzipien und die menschenrechtliche Situation in Afghanistan komplett missachtet“.