Änderung Abschiebungspraxis Irak

Stand Januar 2024

Bis Mai 2023 wurden Personen ohne relevante strafrechtliche Verurteilungen grundsätzlich nicht in den Irak abgeschoben. Seitdem hat sich einiges geändert. Uns sind leider immer mehr Einzelfälle bekannt, bei denen in den Zentral-Irak abgeschoben wurden. Aktuell finden fast monatlich Sammelabschiebungen (Charterflüge) sowie auch Einzelabschiebungen statt.

Wie war es bis Ende 2022, wenn Geduldete Iraker:innen ihren Pass abgegeben haben

Bis 2022 und auch in den ersten Monaten 2023 fanden bis auf Ausnahmen von strafrechtlich verurteilten irakischen Staatsangehörigen keine Abschiebungen in den Irak statt. Deshalb rieten Anwält:innen und Beratungsstellen allen Iraker:innen dazu, ihre Pässe zu besorgen und abzugeben. Denn: nur wer einen Pass vorlegt bzw. bei der Passbeschaffung mitwirkt, bekommt eine Arbeitserlaubnis und hat Chancen auf eine Bleiberecht trotz negativen Asylverfahrens. Weiterhin konnten durch eine Passbeschaffung hohe Strafen wegen Passlosigkeit verhindert werden. Generell gilt in Deutschland für Ausländer:innen die Passpflicht. Wer diese nicht erfüllt, kann zu hohen Geldstrafen verurteilt werden. Eine Geldstrafe wiederum kann die Chance auf ein Bleiberecht verhindern oder zu Ausweisungen führen. Es kann also sein, dass Ihre Anwaltskanzlei oder Ihre Beratungsstelle Sie heute mit einem anderen Kenntnisstand berät als letztes Jahr.

Wir empfehlen allen ausreisepflichtigen geduldeten Iraker:innen, nochmal ihre Anwaltskanzlei oder eine Beratungsstelle zu kontaktieren. Wenn die Ausländerbehörde auf eine Abschiebung hingewiesen hat, und/oder Ihre Arbeitserlaubnis und/oder Ihre Duldung entzogen hat, sollten Sie unbedingt eine:n Anwält:in oder eine Beratungsstelle kontaktieren.

Wer zählt zur Risikogruppe?

Betroffen sind geduldete alleinstehende Personen und Familien mit und ohne strafrechtliche Verurteilungen. Auf den letzten Abschiebeflügen waren auch Personen, die keinen Pass abgegeben hatten. Diese wurden mit Passersatzpapieren abgeschoben.

Wer eine Duldung aus rechtlichen Gründen besitzt (Familie oder Reiseunfähigkeit), kann, solange diese rechtlichen Gründe weiterbestehen, nicht abgeschoben werden. Wer nur aus dem Grund geduldet ist, weil eine Abschiebung tatsächlich bis Mai 2023 nicht möglich war, zählt jetzt zur Risikogruppe.

Wenn Sie sehr krank sind oder schwanger, und deshalb eine Flugreise aus medizinischen Gründen für Sie unmöglich ist, müssen Sie ein Attest hierüber von Ihrer Arztpraxis bei der Ausländerbehörde einreichen und am besten auch mit eine:r Anwält:in sprechen.

Wir beobachten bisher aus den uns bekannten Fällen, dass vor allem Personen, die noch nicht so lange (unter 2 Jahre) in Deutschland leben und deren Asylverfahren erst kürzlich rechtskräftig abgelehnt wurden, von Abschiebungen betroffen sind. Hinweis: Solange Sie im Asyl- oder Klageverfahren beim Gericht sind, sind Sie vor einer Abschiebung sicher.

Aber auch Personen mit einer Duldung, die schon etwas länger in Bayern leben sind, könnten von Abschiebung bedroht sein. Wenn Sie also schon länger in Deutschland sind und hier arbeiten, eine Ausbildung machen oder zur Schule gehen, aber im Besitz einer Duldung sind, wenden Sie sich an eine:n Anwält:in für Migrationsrecht oder eine Beratungsstelle. Hier kann geklärt werden, ob für Sie eine andere Bleiberechtsregelung in Frage kommt, um einen sicheren Aufenthalt in Deutschland zu bekommen. Solche Aufenthaltstitel sind zum Beispiel:

  • §60c AufenthG Ausbildungsduldung
  • §60d AufenthG Beschäftigungsduldung
  • §25a AufenthG für geduldete Jugendliche und junge Volljährige von 14 bis 27 Jahren mit einer Voraufenthaltsdauer von mindestens drei Jahren
  • §25b AufenthG für gut integrierte Geduldete, die seit 6 Jahren oder bei Familien ab 4 Jahren in Deutschland sind
  • §104c AufenthG Chancenaufenthalt für Personen mit Duldung, die vor dem 31.10.2017 nach Deutschland gekommen sind
  • §23 AufenthG Aufenthalt über die bayerische Härtefallkommission für Personen, die seit mindestens 4 Jahren in Deutschland sind und eine gute Integration vorweisen können
  • Diese Aufzählung ist nicht vollständig. Es gibt auch noch andere Möglichkeiten, ein Bleiberecht in Deutschland zu bekommen oder akut nicht abgeschoben zu werden – zum Beispiel aufgrund von schweren (psychischen) Krankheiten oder der familiären Situation. Lassen Sie sich beraten.

WICHTIG: Diese Aufenthaltstitel bekommt man nicht automatisch, wenn man die Voraussetzungen erfüllt. Man muss sie immer bei der Ausländerbehörde beantragen. Tut man das nicht, kann es passieren, dass man abgeschoben wird, obwohl man eigentlich einen Aufenthaltstitel hätte bekommen können.

Was ist der Grund für die neue Abschiebepraxis?

Nach einem Treffen zwischen deutschen und irakischen Regierungsvertreter:innen im Mai 2023 hat der Irak seine Kooperationsbereitschaft gegenüber der Aufnahme von abgelehnten Asylsuchenden geändert [1]. Dort wurde vereinbart, dass der Irak auch Personen zurücknimmt, die keine Straftaten begangen haben. Denn dass bisher nur Personen mit Straftaten in den Irak abgeschoben wurden, lag nicht an der deutschen Politik und den Behörden hier, sondern an den Bestimmungen auf der irakischen Seite, keine anderen Personen zurückzunehmen. Seit der Irak diese Bestimmung fallen gelassen hat, sind für die deutschen Behörden Abschiebungen möglich. Seither nimmt auch der (Zentral-)Irak wieder Personen zurück. Die aktuelle Bundesregierung (Ampelkoalition) will mit weiteren Ländern solche Migrationsabkommen schließen.

Was tun?

Keine überstürzten Entscheidungen treffen. Keine Panik. Informieren Sie sich und lassen Sie sich in Ruhe beraten. Manchmal ist auch eine zweite Meinung hilfreich.

Wir empfehlen allen geduldeten Iraker:innen, nochmal ihre;n Anwält:in oder eine Beratungsstelle zu kontaktieren. Wenn die Ausländerbehörde Ihre Arbeitserlaubnis entzogen hat, sollten Sie auf jeden Fall Anwält:in oder eine Beratungsstelle kontaktieren.

Sie können sich mit Beratungsanfragen auch gern an uns wenden: https://www.fluechtlingsrat-bayern.de/beratung/

Falls Sie selbst Betroffen sind oder eine Person kennen, die akut von Abschiebung bedroht und bereit oder interessiert ist, dass darüber öffentlich in den Medien berichtet wird, schreiben Sie uns mit einer genaueren Fallschilderung eine E-Mail an kontakt@fluechtlingsrat-bayern.de oder rufen uns an: https://www.fluechtlingsrat-bayern.de/ueber-uns/kontakt/


[1] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/migrationsabkommen-deutschland-irak-100.html