In Bayern keine Chance auf Chancen-Aufenthalt
Bayerischer Flüchtlingsrat kritisiert die Abschiebung einer gut integrierten Familie
Gestern fehlten die Kinder der Familie E in der Schule, die Eltern waren auf dem Handy nicht zu erreichen. Frau R, Mitarbeiterin einer heilpädagogischen Tagesstätte, wo der Sohn Gabriel betreut wird, schlägt Alarm. Am Abend bestätigt sich der Verdacht. Nachbar:innen in der Flüchtlingsunterkunft berichten, dass um ein Uhr nachts die Polizei kam und die Familie, Eltern und drei Kinder im Alter von 11, 10 und 6 Jahren, abgeholt hat. Ein Aktivist berichtet, dass die Familie aus dem Landkreis Dachau mit anderen Abgeschobenen um 14 Uhr in Lagos gelandet ist.
Familie E stand kurz vor der Eingabe ihres Falles in die Bayerische Härtefallkommission. Der Vater war seit 2017 geschätzter Mitarbeiter einer Münchner Firma, bis ihm die Arbeitserlaubnis entzogen wurde. Seine Autoimmunerkrankung hat er dank guter Medikation im Griff. Die Kinder waren bestens in Schule und Freundeskreise integriert. Der kleine Gabriel, der wegen einer Entwicklungsverzögerung heilpädagogisch unterstützt wird, hat gute Fortschritte gemacht. Die Familie war 2015 nach Deutschland gekommen. Sie erfüllten die Voraussetzungen für ein Chancen-Aufenthaltsrecht, das vergangene Woche im Kabinett beschlossen wurde.
„Ausgerechnet am Gedenktag zu Flucht und Vertreibung schiebt Bayern diese Familie ab, und zerreißt damit die Bindungen und Lebensentwürfe vor allem der Kinder, die den größten Teil ihres Lebens in Bayern verbracht haben. Die Gesundheit des Vaters ist ohne entsprechende Medikation sehr gefährdet, die Entwicklung des Jungen ebenso,“ kritisiert Stephan Dünnwald, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats. „Die Abschiebung dieser sehr gut integrierten Familie ist ein Skandal. Arbeitgeber, Schule und Betreuerin setzten sich für die Familie ein. Die völlig unnötige Abschiebung nur wenig vor Inkrafttreten des Chancen-Aufenthaltsrechts lässt den Schluss zu, dass in Bayern schnell noch viele derjenigen, die von dem Gesetz profitieren würden, abgeschoben werden sollen.“
Der bayerische Innenminister könnte mit Hilfe eines Vorgriffserlasses eine solche Praxis unterbinden und Personen, die von dem kommenden Chancen-Aufenthaltsrecht profitieren könnten, schützen. Stattdessen sind dem Bayerischen Flüchtlingsrat mehrere Fälle bekannt, bei denen sogar Familien durch Abschiebung getrennt wurden und potenzielle Kandidaten für einen Aufenthaltstitel noch schnell abgeschoben wurden.