Securitygewalt und institutioneller Rassismus bedrohen Schwarze Leben
Ehemaliger Bewohner des ANKER-Zentrum Bamberg reicht Verfassungsbeschwerde ein
Der senegalesische Asylsuchende Sidi F. (Name geändert) wurde am 27. September 2017 von einer großen Gruppe von Sicherheitsdienstmitarbeitern in der damaligen Aufnahmeeinrichtung Oberfranken (AEO) Bamberg angegriffen und schwer misshandelt. Das Ermittlungsverfahren gegen die Wachmänner wurde ohne Ergebnis eingestellt. Im Februar 2020 hat Sidi F. nun Verfassungsbeschwerde erhoben mit dem Ziel, dass gegen die Angreifer Anklage erhoben und der Vorfall detailliert aufgeklärt wird. Das hatten die Staatsanwaltschaft Bamberg, die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg sowie das Bamberger Oberlandesgericht zuvor abgelehnt, obwohl umfassendes belastendes Beweismaterial gegen die Wachdienstmitarbeiter vorliegt. Sidi F. sieht sein Recht auf effektive Strafverfolgung verletzt, das sich aus der Verpflichtung des Staates ergibt, Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen.
Am Abend des 27.09.2017 untersagt ein Sicherheitsdienstmitarbeiter Sidi F. und einem ihn begleitenden Freund, ein Stück Brot aus der Kantine des ANKER-Zentrums mitzunehmen. Es kommt zu einem Streit. Dabei wird der Freund mit Pfefferspray angegriffen, danach fesseln Wachmänner die beiden Geflüchteten, bringen sie zu Boden und treten und schlagen auf sie ein. Etwa 30 bis 40 Sicherheitskräfte sind im Einsatz. Als die Polizei eintrifft, nimmt sie die beiden Asylsuchenden in Gewahrsam und verhört sie als Beschuldigte. Ihre Verletzungen werden nicht dokumentiert. Für Übersetzung wird nicht gesorgt. Drei Wochen nach dem Vorfall erstatten jedoch zwei Whistleblower aus den Reihen der Security Anzeige gegen ihre gewalttätigen Kollegen. Die Bamberger Polizei ist nun gezwungen, den Vorwürfen nachzugehen. Die beschuldigten Wachmänner werden befragt. Gegen drei Hauptverdächtige ermitteln die Beamt*innen wegen versuchten Totschlags, gegen weitere wegen gefährlicher Körperverletzung. Obwohl die Angaben der Whistleblower und die der Geschädigten zu Schlägen und Tritten während des Übergriffs in weiten Teilen übereinstimmen, stellt die Bamberger Staatsanwaltschaft das Verfahren im August 2018 ein.
Der Angriff auf Sidi F. war kein Einzelfall in Bamberg. In dem heutigen ANKER-Zentrum etablierte sich im Sommer 2017 innerhalb des Wachdienstes ein sogenanntes „Sonderteam“. Dessen Mitglieder fielen immer wieder durch brutale, rassistisch motivierte Angriffe, insbesondere gegen Schwarze Bewohner*innen der Unterkunft auf. Weder die Einrichtungsleitung noch die Firma Fair Guards haben bislang zu den Vorfällen Stellung genommen oder sich um Aufklärung bemüht. Berichterstattung und der öffentliche Druck haben dazu geführt, dass die Gewalt gegen Geflüchtete etwas zurückgegangen ist, doch zur Verantwortung gezogen wurde niemand. Die Regierung von Oberfranken verlängerte sogar den Vertrag mit der vielfach kritisierten Sicherheitsfirma. Auch Polizei und Staatsanwaltschaft haben es versäumt, ernsthaft gegen die gewalttätigen Wachmänner zu ermitteln. Dieses Klima der Rechtlosigkeit führt dazu, dass die Angriffe auf Asylsuchende sich fortsetzen.
„Es entsteht hier der Eindruck, dass die Behörden an einer Aufklärung kein Interesse haben und den Verletzten schlicht nicht glauben wollen. Für die Betroffenen muss es wirken, als seien sie Menschen ‚zweiter Klasse‘, deren Rechte man buchstäblich mit Füßen treten kann, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen“, so Benjamin Derin, der Rechtsanwalt von Sidi F.
Aino Korvensyrjä von Justizwatch ergänzt:
„Dass Schwarze Leben als weniger schützenswert angesehen werden, zeigt sich nicht nur bei Racial Profiling oder tödlicher Polizeigewalt, sondern auch im rassistischen Aufenthaltsregime. Wenn Geflüchtete in Lager gezwungen und abgeschoben werden, wenn brutale Gewalt gegen sie billigend in Kauf genommen wird, ist das Ausdruck von institutionellem Rassismus. Perspektivisch muss es darum gehen, nicht nur die Fälle von Wachdienstgewalt aufzuklären, sondern das Lagersystem abzuschaffen, das diese Gewalt systematisch hervorbringt.“